Im Oktober 2018 berichtete Eberhard im Interview mit Gerrit Ebener Greis von seinem Ehrenamt:

Interviewerin: Lieber Eberhard, wie und wann bist du zur Hospizhilfe gekommen?

Wir überlegen gemeinsam, wie es denn nun angefangen hat und was Iris, die Koordinatorin, damit zu tun hat.

Interviewerin:

Hast du dir Hospizarbeit ausgesucht oder bist du angeworben worden?

Eberhard Freundt: Die Verbindung und der erste Kontakt zur Hospizhilfe muss im Haus Herbstzeitlos zu finden sein. Da habe ich als Mitglied von Alter Aktiv mitgeholfen, dass Senecafé aufzubauen. In dieser Zeit muss mich Iris angesprochen haben. Sie lud mich zu einem ganz unverbindlichen Informationsabend ein. Aus Neugier und als Rentner auf der Suche nach einer sinnvollen. ehrenamtlichen Tätigkeit, habe ich zugesagt und 2004 mit der Ausbildung angefangen und mich auf das „Abenteuer“ Hospizarbeit eingelassen. In dieser Zeit habe ich auch Hans Günter kennengelernt sowie gleich gesinnte Mitmenschen, die mit mir die Ausbildung gemacht haben.

Interviewerin: Sind von denen noch welche heute dabei?

Eberhard Freundt: Ja, einige sind bis heute noch aktiv tätig, als Vorstandsmitglied, in einer Begleitung, im Trauercafé, der Ausrichtung von Trauerspaziergängen sowie andere vereinsfördende Tätigkeiten.

Interviewerin: Welche Schwerpunkte hast du dir danach in der Hospizarbeit für dich selbst gesucht?

Gibt es da etwas zu berichten?

Eberhard Freundt: Also zunächst stand für mich die Frage an, bin ich für die Hospizarbeit und Sterbebegleitung überhaupt geeignet, kann ich das überhaupt leisten? Diese Frage ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. Erfahren habe ich dies direkt bei meiner ersten Begleitung. Ich fühlte mich sozusagen ins kalte Wasser gestoßen. Da lag vor mir ein alter hilfloser Mann, blind, beide Beine amputiert, geistig aber gut ansprechbar. Gepflegt wurde er von seiner Schwiegertochter. Als die zum Einkaufen in die Stadt fuhr, war ich ganz allein mit einem schwerstkranken Mann, in einem mir völlig fremden Haus und fragte mich: was machst Du hier? Es gibt doch sicherlich schönere Aufenthaltsorte als diesen? Aber trotz dieses anfänglichen Zweifels wurde es eine intensive und lehrreiche Begleitung.

In den ersten Jahren meiner Hospizarbeit lag der Schwerpunkt ausschließlich in der persönlichen Begleitung sterbender Menschen. Gezählt habe ich sie nicht, hätte ich vielleicht mal tun sollen (?). Jede Begleitung hat mich auf ganz unterschiedliche Weise immer an den Rand des Lebens geführt und mir auch meine eigene Endlichkeit immer wieder in Erinnerung gerufen. Ein entscheidender Punkt für das Gelingen einer Begleitung war und ist ihre Dauer, denn mit jedem neuen Besuch und jedem geführten Gespräch wächst so etwas wie eine gewisse Vertrautheit. Immer dann, wenn mir der Sterbende sein DU angeboten hat, habe ich mir gesagt: Jetzt ich bin bei ihm angekommen.

Interviewerin: Du hast auch noch Vorstandsarbeit gemacht?

Eberhard Freundt: Ja, ich weiß gar nicht mehr ab wann, aufgehört habe ich im Jahr 2016. Neben den persönlichen Begleitungen, der Vorstandsarbeit und anfänglichen Mitarbeit im Trauercafé´, hatte ich mir auch den Aufbau einer Hospiz-Homepage auf die Fahnen geschrieben. Damals hatten ja noch nicht viele Vereine eine eigene Homepage. Sozusagen als Autodidakt habe ich sie entwickelt und über Jahre hinweg gepflegt. Heute ist sie – Gott sei Dank – in professionellen Händen.

Interviewerin: Eberhard, kannst du was darüber erzählen, warum du Hospizarbeit machst, was deine Motivation war/ist?

Eberhard Freundt: Immer wenn mich Leute fragen, warum ich gerade Hospizarbeit mache, muss ich passen, denn ich habe bis heute noch keine für mich befriedigende Erklärung gefunden. Die einzig mögliche Erklärung liegt in einem traumatischen Kindheitserlebnis. Es geschah in der Nachkriegszeit, ich war wohl 6-8 Jahre alt, im Marien-Krankenhaus, als eine Ordensschwester, meine kleine Hand nahm und zu mir sagte „Komm mal mit mir, ich zeige dir mal dein kleines Schwesterchen“. Ich ging mit ihr, über viele Flure, die mir wie ein Labyrinth vorkamen, in den Keller des Marien-Krankenhauses. Dort war es dunkel und kalt. In einem kleinen Raum brannte eine Kerze und als ich näher kam, sah ich sie da liegen, meine kleine Schwester – Monika sollte sie heißen -. Ihr Gesicht war blau angelaufen, um ihre kleinen, zierlichen Hände war ein Rosenkranz gewickelt. Monika war während der Geburt, aufgrund einer Fehlentscheidung der Hebamme, im Blut erstickt. Meine Mutter rang durch den hohen Blutverlust mit dem Tod. Ob dieses traurige Erlebnis der (unbewusste) Anlass und Motivation für mein heutiges Engagement in der Hospizarbeit ist, möchte ich offen lassen. Aber es gibt viele Menschen, die durch die Erschütterung eines Schicksalsschlages zur Hospizarbeit gefunden haben.

Interviewerin: Das heißt auch, dass du damals zu Beginn etwas für dich tun wolltest?

Eberhard Freundt: Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein neugieriger Mensch, komme aus der philosophischen Ecke und habe mich schon immer gerne mit existenziellen Lebensfragen auseinandergesetzt. Wie sagte schon Platon der alte Grieche: „Philosophieren heißt sterben lernen“.

Interviewerin: Eberhard, was nimmst du aus der Hospizarbeit mit?

Eberhard Freundt: Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und dass man das Sterben und den Tod nicht verdrängen sollte, denn sie sind fester Bestandteil unseres Lebens. Ob früher oder später und trotz noch so vieler Tabletten der Ärzte, irgendwann steht Gevatter Tod am Fußende deines Bettes und sagt: Es ist Zeit, komm. Vieles in unserem Leben ist unsicher und wage, aber wenn etwas in unserem Leben hundert Prozent sicher ist, dann unser Sterben und Tod.

Mir ist ein Satz wichtig geworden, den ich mal irgendwo gelesen habe:

Die Kräfte der Seele wachsen mit der Erkenntnis

und mit der Klarheit der Erkenntnis

die Intensität des Lebens.

Das heißt, je intensiver mir meine Endlichkeit bewusst wird, und so kostbarer werden die oft kurzen glücklichen Momente des Lebens. Es geht darum, die Intensität des Lebens wert zu schätzen. Für die Hospizarbeit heißt das, man muss sich bei jeder Begleitung ganz auf den Menschen als Gegenüber einlassen. Eine längere Dauer der Begleitungen führt vielleicht zu intensiveren Gesprächen. Nicht alle, aber die meisten Menschen, die ich begleiten durfte, habeich gefragt, ob sie Angst vor dem Sterben hätten. Alle haben mit NEIN geantwortet.

Interviewerin: Konntest du das alle fragen?

Eberhard Freundt: NEIN, das gelingt nur, wenn die Begleitung eine gewisse Dauer hat, sonst kannst du die Frage nicht stellen.    

Interviewerin: Eberhard, was hat dich besonders beschäftigt?

Eberhard Freundt: Da sind so viele Dinge. Zum Beispiel der Mann mit einer intensiven Nahtoderfahrung, der nicht verstehen konnte, warum der liebe Gott ihn wieder zurück auf die Erde geschickt hat. Wann triffst du mal so einen?

Gut getan hat mir der Anruf einer Frau, nachdem der Mann am Vortag in ihren Armen verstorben war, sich noch einmal für meine Begleitung bedanken wollte sagte: „Herr Freundt, Sie waren für mich wie ein Fels in der Brandung.“ Das gibt einem ein Feedback, wie wichtig man für die Menschen gewesen ist. Der Mann wollte mich erst auch gar nicht haben, dann hat er doch noch einmal angerufen und gesagt, ich könne doch kommen.

Interviewerin: Eberhard, gibt es etwas, was du den „Jüngeren“ in der Hospizarbeit mitgeben willst?

Eberhard Freundt: Ein ganz wichtiger Aspekt in einer Begleitung ist die Balance zwischen Nähe und Distanz. Die Nähe spüren lassen, sich aber nicht hinein ziehen lassen in den Strudel von Trauer und Schmerz.

Interviewerin: Eberhard, was ist das Besondere an Hospizarbeit?

Eberhard Freundt: Erst einmal muss ich jedem Menschen so begegnen, wie er ist (unabhängig von der Lebenssituation, Krankheit o.a.). Dazu kommt, die Menschen erzählen ja auch Stories aus ihrem Leben, ganz verschiedene, da kommt ganz viel nach oben. So haben mir Männer ihre Kriegserlebnisse als Soldat erzählt. Eine Aussage hat mich dabei sehr berührt „ … ich musste den Franzosen doch erschießen, sonst hätte er meinen Kameraden erschossen“.

Interviewerin: Diese „Stories“ – machen sie dir Angst zuweilen?

Eberhard Freundt: Nein, sie machen mir keine Angst, aber sie stimmen mich oft sehr nachdenklich.

Insgesamt kann ich sagen, die Hospizarbeit hat mich bereichert und jede Begleitung hat Spuren in mir hinterlassen, auch wenn ich ihre Namen nach soviel Jahren teilweise vergessen habe, ihre Gesichter aber sehe ich noch vor mir.

Mit Manfred – ich bin ich immer erst einkaufen gegangen, immer nach demselben Plan, was wir in welcher Reihenfolge gekauft haben, dann sind wir zur Sparkasse gefahren, um zu „gucken“, ob noch alles Geld da ist, man weiß ja nie. Ich durfte alles über ihn wissen, sogar dass er den Leichnam seiner Frau, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hatte, um die Bestattungskosten zu sparen.

Interviewerin: Also bist du dann schon sehr vertraut mit manchen Menschen gewesen?

Eberhard Freundt: Ich denke ja, denn ich war oft der einzige Mensch mit dem sie sich einmal in der Woche unterhalten konnten.

Eine besondere Begleitung war für mich Emil (Name geändert), den ich über Monate hinweg regelmäßig besuchte. Zwei Ereignisse sind mir unvergesslich. Das eine war in der Adventszeit. Um mir zu beweisen, wie fit er geistig noch sei, wollte er mir eine kleine Freude bereiten und sagte mir fehlerfrei und ohne zu stottern das Gedicht von Ludwig Uhland auf: „Die Kapelle“ oder auch „Der Hirtenknabe“. Ich war tief berührt. Da lag ein alter sterbender Mann und schenkte mir ein Gedicht. Wo kann man so etwas schon erleben? Wer das Gedicht nicht kennt, sollte es mal lesen. Das zweite Ereignis kam für mich überraschend, als er mich fragte, ob ich ihm nicht ein Mittel besorgen könnte, um ihn endlich von seinem Leiden zu erlösen. „Ihr habt da doch so Mittelchen …“

Emil hatte Parkinson und hochgradig Halluzinationen. Als ich ihm sagte, dass ich mich dabei strafbar machen könnte, ließ er traurig und enttäuscht von seiner Bitte ab. Das Einzige, was ich ihm als Trost sagen konnte war: „Emil, du kannst an meiner Hand sterben, aber nicht durch meine Hand.“

Interviewerin: Sag mal, wie siehst du das, dass du als Mann in der Hospizarbeit tätig bist?

Eberhard Freundt: Ich denke, man kann als Mann über bestimmte Themen von Mann zu Mann besser und auch leichter reden. Außerdem dürfte das Themenangebot zwischen zwei Männern größer sein. Vielleicht sollte man in Zukunft vorher einmal erfragen, ob die Begleitung, sofern möglich, durch eine Frau oder einen Mann erfolgen soll.  Ich für meinen Teil hatte es überwiegend mit Männern zu tun.

Interviewerin: Gibt es noch etwas, was du gerne erzählen möchtest?

Eberhard Freundt: Es gibt Situationen, wo es angebracht ist zu schweigen und still zu sein. Die Stille einfach aushalten und auf sich wirken lassen. Man muss nicht fortwährend der Unterhalter sein. Einfach nur da sein, die Hand halten und schweigen. Der Patient spürt meine Nähe. Das allein genügt schon.

So vielfältig wie wir Menschen leben, so vielfältig sterben wir auch. Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Ganz individuell in seiner Einzigartigkeit.

Der frühere Quizmaster und Fernsehmoderator Hans-Joachim Kulenkampff hat 1998 kurz vor seinem Tod gesagt: „Ich weiß nicht wohin ich gehe, aber ich gehe nicht ohne Hoffnung“        

Interviewerin: Hoffnung auf was?

Eberhard Freundt: Das lassen wir offen.

Interviewerin: Ein schönes Schlusswort, vielen Dank fürs Interview Eberhard!

Erst einmal muss ich jeden Menschen so nehmen, wie er ist.
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