Tod und Trauer – zwei Themen, über die die meisten Menschen nicht gerne beschäftigen möchten. Wenn sie allerdings zur Realität werden, wenn ein Angehöriger oder Freund stirbt, dann drängen sie sich mit aller Macht in das Bewusstsein. Der Umgang mit der Trauer ist dabei so verschiedenartig, wie es Menschen gibt: Die einen wollen ganz viel und immer wieder über ihren Verlust sprechen, die anderen verschließen sich und werden ganz still. Manchen gelingt es vergleichsweise schnell, wieder auf die Beine zu kommen, andere wieder sind noch nach langer Zeit wie ohnmächtig gefangen.
Im Rahmen des dritten Siegener Hospizgesprächs unter dem Titel „Der Trauer Raum geben“ stand das vielschichtige Thema am vergangenen Freitag in der Aula im Medien- und Kulturhaus Lyz im Mittelpunkt einer Veranstaltung, die von der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen e.V. und vom Caritasverband Siegen-Wittgenstein organisiert worden war. Über 200 Gäste waren der Einladung gefolgt, die sich an Menschen gerichtet hatte, die selbst trauern, die trauernden Menschen helfen oder aber schlichtweg an dem Thema interessiert sind.
Der Höhepunkt des Nachmittages war das Vortragskonzert der Trauerbegleiterin, Fachautorin und Dozentin Chris Paul, die in diesem Rahmen auch ihr „Kaleidoskop des Trauerns“ vorstellte. Eröffnet wurde der Nachmittag von Gerrit Ebener-Greis von der Hospizhilfe und Matthias Vitt, Vorsitzender des Caritasverbandes. Gerrit Ebener-Greis begrüßte dabei neben der Referentin auch Irmtrud von Plettenberg und Ulla Krombach-Stettner, die beide mit Redebeiträgen im Programm vorgemerkt waren. Sie freute sich sehr, dass das Interesse am Hospizgespräch so groß sei, dass es nun in der Aula im Lyz stattfinden müsse. „Mit dem Siegener Hospizgespräch wollen wir verschiedene Aspekte aus dem breiten Themenfeld der Hospizarbeit ins öffentliche Bewusstsein bringen“, fasste Gerrit Ebener-Greis die Intention der Veranstaltung zusammen. Sie ging auch auf die Geschichte der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen e.V. ein, die 1994 zunächst als kleine Gruppe begonnen, sich stetig weiterentwickelt hatte und bereits seit 1998 eng mit dem Caritasverband Siegen-Wittgenstein zusammen arbeitet. „Wir wollen Menschen am Lebensende und vor allem auch deren Angehörige begleiten. Wie das konkret gestaltet wird, ist so verschieden wie die Leben der einzelnen Menschen es sind und die jeweilige Situation es erfordert.“ Sie dankte den ehrenamtlichen Mitarbeitern für die viele Arbeit und das Engagement und wies auf ein kleines Buch hin, in dem fünf langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterinnen von ihrer Arbeit für die Hospizhilfe berichten – „ein Zeugnis gelebter Hospizarbeit.“
Matthias Vitt begrüßte die Besucher im Namen des Trägers der Koordinierungsstelle für Ambulante Hospizarbeit. „Nach dem Verlust eines geliebten Menschen kommen die Fragen: Wohin mit meiner Unsicherheit, meiner Ohnmacht, meiner Wut, meinem Glauben?“ Eine Standardantwort gebe es auf all diese Fragen nicht, ein ganz wichtiger Aspekt sei aber, seiner Trauer Raum zu geben. Die Hospizhilfe und Koordinierungsstelle böten hier den Rahmen für die Hilfe und Angebote. „Es gibt Menschen, die brauchen feste Beziehungen, andere eher unverbindliche Begegnungen. Es steht jedem frei, sich die Hilfe zu nehmen, die er braucht.“
Ulla Krombach-Stettner, ehemalige Koordinatorin für ambulante Hospizarbeit beim Caritasverband Siegen-Wittgenstein, gab aus ihrer langjährigen Erfahrung einen anschaulichen und interessanten Überblick zur Situation Trauernder. „Es gibt so viele Situationen wie es Verluste gibt“, betonte auch sie noch einmal und schilderte verschiedene Beispiele: Ein Junge stirbt nach einem Fahrradunfall, der Partner nach 50 Jahren Ehe, die junge Mutter durch eine Krankheit, der Bruder durch Suizid. Aber auch neuere Formen wie fortschreitende Demenz und die Trauer über den Persönlichkeitsverlust müssten beachtet werden. Das Verständnis für Trauernde aus der Gesellschaft sei dabei unterschiedlich stark ausgeprägt: Stirbt ein Kind oder handelt es sich um ein tragisches Ereignis werden heftige und lange Reaktionen zugestanden. Anders sieht es oftmals bei dem Verlust eines alten Menschen aus, hier wird schneller davon ausgegangen, dass der Hinterbliebene zur Normalität übergeht. „Es gibt viele Erwartungen an Trauernde: Trauer muss gelebt werden, die alltäglichen Aufgaben dürfen aber nicht vernachlässigt werden. Bitte nicht so viele positive Gefühle zeigen, sonst trauert man nicht richtig und vor allem die Bindung irgendwann loslassen, sonst hört die Trauer nie auf“, skizzierte Ulla Krombach-Stettner. Sie machte mit ihrem eindringlichen Vortrag aber sehr deutlich, dass all diese Erwartungen in der individuellen Realität von Trauernden nichts zu suchen haben. Demnach ist die altbekannte Faustregel, Trauer dauert ein Jahr bereits schon lange von der Trauerforschung widerlegt worden: Sie dauert so lange, wie sie eben dauert. So ist es nötig, die Bindung zum Verstorbenen zu bewahren und Orte zu finden, an denen sie gelebt werden kann. Und es gibt auch eben jene Fälle, bei denen die semi-professionelle Hilfe nicht ausreicht, bei denen die Trauer so schlimm ist, dass sie zur anhaltenden Trauerstörung wird. Da der Weg zu einem Therapeuten aber oftmals ein langer ist, ist auch an dieser Stelle die umfangreiche Hilfe der ehrenamtlichen Trauerbegleiter ungemein wichtig: Die Begleiter bieten den Trauernden das, was sie so dringend brauchen: „Menschen, die da bleiben, die Fürsorge über einen längeren Zeitraum hinaus bieten.“
Wie die Verstorbenen auf eine noch recht unbekannte Art im Leben der Hinterbliebenen verwurzelt bleiben können, erläuterte Irmtrud von Plettenberg, Trauerpastoral Heilig Kreuz Siegen. Sie informierte die Besucher über das geplante Kolumbarium: Die Urnenhalle soll neu in der Heilig-Kreuz-Kirche in Weidenau entstehen und den Angehörigen einen Ort bieten, wo sie über den Tod hinaus mit den Verstorbenen eng in Verbindung stehen: Urnenhalle und Raum für Gottesdienste sollen so nah beieinander liegen, dass eine Gemeinschaft entsteht. „Die Kirche wird zum Zuhause und verbindet.“ Bei der Farbgestaltung wurden blau – für den Himmel und den Neubeginn – und gelb – für die Sonnenstrahlen und die Verbundenheit mit den Trauernden – ausgewählt. Und das sind auch zwei Farben, die im „Kaleidoskop des Trauerns“ von Chris Paul eine Bedeutung haben.
Die Trauerexpertin und der Kölner Gitarristen Udo Kamjunke näherten sich nach den vielen interessanten Informationen aus dem ersten Teil mit ihrem Konzert dem Thema auf eine ganz andere Art an. Chris Paul griff dabei einige Aspekte auf, die bereits zuvor gesagt wurden und verlieh ihnen mit ihrer Präsenz und den vielen Erfahrungen aus ihrer Arbeit erneut Nachdrücklichkeit: „Trauer muss raus aus der Isolation, sie muss überall hin, in jede Schulklasse, in jeden Bus, auf die Straße – mitten in die Gesellschaft mit all ihren Facetten.“ Mit ihrem Trauerkaleidoskop wolle sie diese Facetten deutlich machen. Der Weg der Trauer ist individuell, die Themenfelder sind jedoch dieselben. Hierbei handelt es sich nicht um Phasen, die einander ablösen, sondern um Aspekte, die ineinander verwoben sind – sie sind stets alle da, ergänzen und überlagern sich: Das Überleben, im Sinne von Weiterleben, die Wirklichkeit, die man begreifen muss, die Gefühle, die in ihrer Ganzheit gefühlt werden wollen, sich in der neuen Lebenswelt anpassen, mit dem Verstorbenen verbunden bleiben und schließlich das Geschehene in einen größeren Sinnzusammenhang einzuordnen. Zwischen ihre Erläuterungen und Erzählungen aus ihrem Beratungsalltag setzte Chris Paul die musikalischen Akzente. Die Lieder, eine Mischung wie die Eigenkompositionen „Alles, was bleibt“ und „Altweibersommer“ hatten dabei nicht immer einen direkten Bezug zu Tod und Trauer. Teilweise waren es auch nur Aspekte, die in ihnen aufgegriffen wurden, was wiederum die Realität von Trauer wunderbar deutlich machte: Manchmal ist sie nicht vordergründig, sondern mischt sich zwischen die Zeilen. Mit ihrem Vortrag bot Chris Paul jeder Besuchsgruppe etwas an: Respekt, Verständnis und Trost für die Trauernden, Anleitung und Kraft für die Trauerbegleiter.
In der Kaffeepause und nach der Veranstaltung zeigte sich in den Gesprächen, dass das dritte Siegener Hospizgespräch den vielen Besuchern viel mitgeben konnte: „Eine gelungene Kombination aus Fortbildung und Kultur, die ich bisher so noch nicht erlebt habe“ oder „So kann man sich viel besser einfühlen und sich die Inhalte besser merken“ waren die Rückmeldungen. „Eine rundum tolle Veranstaltung“, fasste eine Besucherin zusammen.