ehrenamt begleitung

Nur wenige Wochen nach meinem Ausbildungsabschluss begann meine erste Begleitung einer 91 jährigen Dame in einem Seniorenheim.

Frau B. (Name geändert) wohnte erst seit wenigen Wochen im Seniorenheim, war verwitwet und ihre Angehörigen lebten nicht im näheren Umkreis, sodass regelmäßige Besuche nur erschwert möglich waren.

An meinen Erstbesuch gemeinsam mit einer Koordination der Hospizhilfe, erinnere ich mich heute noch sehr gut. Der Besuch war sehr kurzweilig, denn nach wenigen Minuten wurden wir mit den Worten „so, das wollen wir hier jetzt mal beenden“ wieder hinaus komplimentiert. Das war also der Beginn meiner ersten Begleitung, die eine Entwicklung genommen hat, welche ich so nicht erwarten konnte. Anfänglich waren die Besuche nicht ganz einfach, aber nach einer gewissen „Warmlaufphase“ gewöhnten wir uns aneinander. Nach ca. 3 Monaten stellte sie mir erste Fragen zu meiner Person und freute sich erkennbar auf meine Besuche.

Bestimmte Abläufe wurden zu unserem Ritual. So hielten wir uns zu Beginn meiner Besuche immer an den Händen, um zu prüfen wessen Hände kälter waren. Zu einem späteren Zeitpunkt brachte ich immer eine Thermosflasche mit Tee zu „unserer Teestunde“ mit und auch das hat ihr sehr gefallen. Hilfreich waren dabei meine transparenten Schnabeltassen, denn ich war immer darauf bedacht, dass sie sich nicht verschluckt.

Zusammen haben wir das Seniorenheim erkundet, haben bei schönem Wetter den Park aufgesucht, haben auf der Terrasse gesessen und gemeinsam Löcher in die Luft gestarrt sowie unsere Gedanken schweifen lassen. Wir haben gemeinsam geschwiegen, haben aber auch viel gelacht.

Das 1-jährige Begleitungsjubiläum sowie ihren 92. Geburtstag haben wir gemeinsam gefeiert. Jeweils nur mit einem Muffin und einer Kerze, denn bescheiden wie sie war hatte sie mir untersagt einen „richtigen“ Kuchen mit entsprechender Kerzenanzahl zu backen. Sie hat es sich jedoch nicht nehmen lassen, die Kerzen selbst auszublasen. Ihre Erzählungen von ihren Backkünsten haben mich zum Backen inspiriert. Wenn ich ihr dann eine Waffel oder ein Stück selbstgebackenen Kuchen mitgebracht habe, ist sie vor Freude fast aus dem Bett gesprungen. Zu mehrstöckigen Kuchen wie sie sie gebacken hat, reicht es bei mir heute allerdings immer noch nicht.

Nach jedem Besuch fragte ich Frau B., ob ich sie wieder besuchen dürfe und das bejahte sie regelmäßig indem sie sagte „Sie dürfen mich selbstverständlich jederzeit besuchen. Ich bin ja hier“. Es war mir wichtig sie selbst darüber entscheiden zu lassen, denn viele Möglichkeiten für eigene Entscheidungen hatte sie im Seniorenheim nicht. Es gab auch Phasen in denen sie mich gebeten hat, sie doch bitte immer wieder zu besuchen. Ich habe ihr dann geantwortet, ich sei wie ein Boomerang und würde immer wiederkommen. Das hat sie sehr amüsiert.

Zu Beginn meiner Begleitung haben wir noch gemeinsam das selbständige Fahren mit dem Rollstuhl geübt (sie hatte das bei ihren Mitbewohner/innen gesehen und wollte das auch können). Diese Möglichkeit zur Eigenständigkeit blieb ihr aber leider schon nach relativ kurzer Zeit verwehrt. Es war nicht einfach mit ansehen zu müssen, wie dieser Mensch im Laufe der Zeit körperlich und teilweise auch geistig abbaute. Aber die Gewissheit, dass meine Besuche ihr Freude bereiten und dass die gemeinsame Zeit uns beiden gut tut, haben mir Kraft gegeben. Auch wenn ich mich nach einem Arbeitstag im Büro manchmal lieber auf die Couch gelegt hätte, bin ich zu ihr gefahren. Und es war immer gut und richtig dieses zu tun.

Während der Begleitung habe ich mich regelmäßig mit den Angehörigen ausgetauscht. Ich durfte ein vertrauensvolles Miteinander mit den Angehörigen erfahren und das war ein wesentlicher und sehr hilfreicher Bestandteil meiner Begleitung.

Die Zeit dieser Begleitung hat mein Leben um vieles bereichert. Erleben zu dürfen, wie sich ein betagter Mensch nochmals auf eine ihm fremde Person einlässt und auch eine gewisse Nähe zulässt, hat mich sehr beeindruckt. Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit waren ihr sehr wichtig und beides konnte ich ihr durch meine regelmäßigen Besuche entgegenbringen. Sie hat den allmählichen Verlust ihrer Fähigkeiten klaglos hingenommen, hat sich trotz ihrer misslichen Lage nie beklagt und ist ihrem Charakter bis zum Schluss treu geblieben. Das Wohlergehen ihrer Mitmenschen war ihr immer sehr wichtig. Wenn es einem/r Mitbewohner/in nicht gut ging, fühlte sie stets mit und mir hat sie immer von ihren Mahlzeiten etwas abgeben wollen, denn „ich habe ja sonst nichts was ich Ihnen anbieten kann“.

Inzwischen, nach 16 Monaten mit regelmäßigen Besuchen, ist Frau B. verstorben. Ich habe sie an 125 Tagen besucht und durfte 212 Stunden mit ihr verbringen.
Sie ist ein Mensch gewesen, dem ich mich sehr verbunden gefühlt habe und ich werde sie und unsere gemeinsamen Teestunden vermissen.

Mit diesen Zeilen möchte ich Angehörige, Betroffene und Ehrenamtler/innen ermutigen, sich auf eine Begleitung durch die Ambulante ökumenische Hospizhilfe einzulassen. Eine Begleitung ist für alle Beteiligten hilfreich, wertvoll und sinngebend zugleich.

Meine erste hospizliche Begleitung- eine ehrenamtliche Mitarbeiterin berichtet
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